Blue-Balls-Festival auf dem Europaplatz vor dem KKL.

Das Blue Balls in Luzern krankt – darum ist ein Umdenken nötig

zentralplus, Juni 2019

Das Blue Balls steht an und klagt über massive Geldprobleme. Bis in drei Monaten braucht das Festival eine Million Franken, um zu überleben. Es ist zu hoffen, dass es weitergeht. Aber die Krise ist auch eine Chance, den Anlass kritisch zu hinterfragen.

Er tat es wieder: Gut einen Monat vor Festivalstart hat Urs Leierer öffentlich geklagt. Zu wenig Unterstützung für sein Blue Balls, unzuverlässige Partner, lahmer Vorverkauf. Bis Ende August müssen eine Million Franken her, um die Organisation in eine neue Stiftung zu überführen. Ansonsten ist das Blue Balls in der heutigen Form Geschichte (zentralplus berichtete).

Der Festival-Chef, der schwarzmalt: Das ist das pure Gegenteil von Urs Leierer, wie er auf der Bühne die Stars begrüsst, das neuste Festival-Face verkündet und dabei auch mal eine Freudenträne verdrückt. Seit über 25 Jahren tut er das mit nicht nachlassender Leidenschaft – Respekt. Für diese Leistungen haben wir ihm kürzlich 25 Mal gedankt, dies gilt auch heute noch (zentralplus berichtete).

Darum ist zu hoffen, dass das Blue Balls weiterexistiert: Die Anziehungskraft ist immens, das Ambiente um das Seebecken einmalig und der Glaube an die Livemusik ungebremst.

Kaputter Musikmarkt

Viele Probleme sind den Umständen geschuldet: Das KKL ist für Pop-Konzerte zu teuer, das Ambiente im Luzerner Saal nicht optimal, die Konzertgagen haben jegliche Relation verloren, und die Konkurrenz ist riesig. Die grossen Konzerte sind darum «schwerst defizitär», so Leierer.

Hinzu kommen die Billettsteuern von 10 Prozent in der Stadt Luzern, die immer wieder Gegenstand von Kritik sind, sowohl von Seiten des FCL wie auch von Kulturveranstaltern. Dabei geht vergessen, dass diese Abgaben zweckgebunden in die Förderung von Sport und Kultur fliessen. Von dieser Basisförderung profitieren indirekt auch die Grossen.

Es liegt auch am Festival selber

Wer in die Kommentarspalten guckt, entdeckt viel Bedauern über das mögliche Ende – aber auch erstaunlich wenig Überraschung. Viele würden eine Reorganisation des Anlasses begrüssen.

Sie haben Recht: Ein Umdenken wäre willkommen. Im besten Fall ist die finanzielle Krise der Anlass für einen Neustart. Denn was man bei aller Sympathie für das Festival festhalten muss: Das Blue Balls hat im musikbegeisterten Luzern nicht die nötige Anerkennung. Und das liegt auch am Festival selber.

Das Blue Balls zieht zwar viele begeisterte Menschen an und ist beste Werbung für Luzern und das KKL. Gleichzeitig ist es zu wenig verankert, es fehlt die Zusammenarbeit mit lokalen Veranstaltern, Netzwerken und der Luzerner Szene.

Zu wenig verankert

Nach aussen wirkt das Festival zu oft wie eine One-Man-Show von Urs Leierer. Er hat zwar ein Team um sich, welches das Programm prägt und auf die Beine stellt. Er hat einen Verein im Rücken und vor allem hunderte von ehrenamtlichen Helferinnen und Unterstützern. Aber es würde dem Festival helfen, wenn die Macher stärker als Luzerner Team wahrgenommen würde.

Vor, während und nach dem Festival ist das Blue Balls in Luzern präsent, ansonsten operiert es von seinem Büro in Zürich aus.

Pinverkauf als Reizwort

Wenn man dem Festivalchef zuhört, entsteht das Bild des ewig missverstandenen Gastgebers, dem die Luzerner zu wenig dankbar sind. Man hat das Gefühl, das Festival sei eine Bürde. Der Pinverkauf ist zu einem Reizwort verkommen.

Die simple Frage ist darum: Wieso macht es das Blue Balls nicht ganz anders? Welche zündende Idee könnte dem Festival zu einer neuen Daseinsberechtigung verhelfen? Leierer sagt: Wenn die Konzerte im KKL wegfielen, verliere das Blue Balls seinen internationalen Glanz. Wie schlimm wäre das?

Viel ist von Ausstrahlung und Wertschöpfung die Rede, zu wenig davon, was das Blue Balls als ureigenes Luzerner Festival sein will. Es ist vielleicht kein Zufall, dass auch das Luzerner Fest, nachdem es zu einem seelenlosen Grossanlass geworden ist, nun zurückbuchstabiert, pausiert und sich fragt: Was wollen wir sein (zentralplus berichtete)?

Auch das Lucerne Festival ist zu gross geworden und besinnt sich auf seine Stärken. Ab 2020 konzentriert es sich auf sein Hauptfestival im Sommer (zentralplus berichtete). Es scheint ein guter Zeitpunkt für das Hinterfragen von Traditionen.

Luzern ist nicht Montreux

Wenn das Blue Balls der Kulturstadt Luzern, der Musikszene und der musikbegeisterten Einwohnerschaft besser vermitteln kann, was es ihnen bietet, kommt vielleicht wieder mehr zurück.

Luzern ist nicht Montreux, auch wenn das die Vision war. Claude Nobs’ Erbe ist einmalig. Eher lohnt sich ein Blick nach Winterthur: Wer je die Musikfestwochen besucht hat, eines der ältesten Festivals der Schweiz, merkt: Da ist eine andere Verbundenheit mit der Stadtbevölkerung da.

Die Musikfestwochen sind eine Nummer übersichtlicher und bescheidener: Das Blue Balls hat ein Budget zwischen vier und fünf Millionen Franken, in Winterthur ist es rund die Hälfte. Ums Luzerner Seebecken sind es jeweils rund 100’000 Besucher, in Winterthur 55’000.

Aber im Unterschied zu Luzern gab’s in Winterthur in den letzten Jahren stets Gewinne im fünfstelligen Frankenbereich, obwohl die Mehrheit der Hauptkonzerte in der Steinberggasse gratis sind. Beim Blue Balls kumulierte sich demgegenüber der Verlust in den letzten drei Jahren auf 400’000 Franken.

Das Programm der Musikfestwochen hat Qualität – Beirut, Madrugada oder AnnenMayKantereit zeugen etwa davon. Vor allem aber ist der Anlass ein Abbild der Kulturstadt Winterthur – befreundete Komitees, Veranstalter und Konzerthäuser packen mit an. Die Konzertlokale Albani, Gaswerk, Kraftfeld und Salzhaus betreiben sogar eine eigene Bar – am Blue Balls ist das undenkbar.

Lieber ohne Chilbi

Am interessantesten ist das Blue Balls dort, wo die Stars von morgen auftreten: Das Programm im Pavillon und auf den Strassen funktioniert prima und ist handerlesen. Vielleicht braucht es mehr davon. Vielleicht muss man sich sogar vom KKL lösen, das für das Blue Balls ein zu grosses Klumpenrisiko geworden ist. Ein trotz Sponsorenplätzen halbleerer Konzertsaal killt jedes Ambiente – auch wenn das zum Glück nicht der Normalfall ist.

Wenn der Pin nicht funktioniert, gehört er abgeschafft – auch wenn er ein fairer Deal ist. Man würde eine andere Lösung finden, auch das zeigen die Musikfestwochen, die auf Gönner und Spenderinnen setzen.

«Sollte es mal ein Jahr geben, in dem die Organisatoren nicht im Vorfeld über die Finanzierung jammern, kaufe ich mir zur Feier einen Pin und ein Becherli schales Heineken. Ehre!», schreibt ein Kommentator treffend. «Luzern ohne die Blue-Balls-Chilbi? Keine schlimme Vorstellung», kommentiert ein Luzerner Musiker.