Porträt Andri Pol, Foto: Maurice Haas

«Den Anspruch, die Seele von jemanden zu ‹tüpfen›, finde ich vermessen»: Der Fotograf Andri Pol. (Bild: Maurice Haas)

Die «gnadenlos vielfältige» Welt von Andri Pol

041 – Das Kulturmagazin, August 2021

Andri Pol hat die Pressefotografie verändert, an seine eigenwilligen Bilder erinnert man sich noch Jahrzehnte später. Das Museum Bellpark zeigt die bedeutendsten Porträts, des in Luzern lebenden Fotografen. Im Interview verrät er, was es für ein gutes Bild braucht.

Diese Fotos springen dich an und wollen erzählen – und das tun sie auch losgelöst vom ursprünglichen Artikel. Die Porträts sind grösstenteils in Büchern und Magazinen erschienen, in «Das Magazin», «Stern», «Geo» oder «ZEIT». Und so ist die Ausstellung mit Pols Porträts im Museum Bellpark auch ein Stück Pressegeschichte.

Da sind die jungen Promis Vreni, Kuno oder Roger. Knallig ins Licht gerückt, kühn inszeniert und trotzdem mit einer erstaunlichen Beiläufigkeit. Erfrischendes und Witziges hängt Tür an Tür mit der Reportage über gejagte Albino-Menschen in Tansania, die man nie mehr vergisst. Schwarz-weiss-Bilder von Knechten neben der grellen Sprüngli-Schickeria an der Bahnhofstrasse. So sieht sie aus, die gegensätzliche Welt im Leben eines Reportage-Fotografen. «Meine Realität ist gnadenlos vielfältig. Und in dieser Zusammenstellung teilweise auch absurd», sagt Andri Pol. Wir sprachen mit ihm über das Geheimnis hinter seinen Porträts.

Zur Person

Andri Pol gehört zu den wichtigsten Fotografen der Schweiz. Er lernte ursprünglich an der Kunstgewerbeschule in Luzern Zeichnungslehrer, zum Fotografen wurde er als Autodidakt. Heute wohnt er wieder in Luzern. 2017 wurde er zum Schweizer Fotografen des Jahres gekürt.

Einige Bilder und Covers von Ihnen haben sich mir bis heute eingebrannt – etwa die Albino-Einwohner:innen in Tansania oder die berühmten Aufnahmen der Hüsli-Schweiz. Stehlen Sie den schreibenden Journalist:innen die Show?

Andri Pol: Nein, ich bin das Amuse-Bouche. Wenn meine Bilder gut funktionieren als Aufmacher oder Cover, dann ist es eine Einladung, den Text zu lesen. Das Hauptmenü ist immer der Text … fast immer.

Wie haben Sie es geschafft, in der schnelllebigen Pressefotografie Bilder zu kreieren, die bleiben?

Ich überlege mir nicht, was meine Bilder auslösen können und was sie stark macht. Mich interessiert nur die Geschichte, und die versuche ich so adäquat wie möglich in ein Bild zu übersetzen. Was danach passiert, liegt beim Betrachter oder der Betrachterin. Ich bin manchmal selber überrascht, welche Bilder bleiben.

Sie haben einmal gesagt, für eine gute Aufnahme brauche es vor allem Zeit. Ist es so einfach?

Eine gute Aufnahme braucht vor allem Zeit, um zu kommunizieren. Ich mache nie ein Bild, ohne dass ich zuvor mit den Leuten geredet habe. Ich will herausfinden, wie sie sich bewegen, ihre Hände brauchen und wie die Mimik und Gestik wirkt. Ohne diese Zeit bleibt das Bild im besten Fall eine hübsche Hülle, aber es hat keine Substanz. Beim Porträt finde ich dieses Hin und Her extrem wichtig, im Austausch entstehen oft die Ideen. Manchmal habe ich nur 10 Minuten, dann rede ich 7 Minuten und mache dafür lieber nur ein Bild. Zudem ist jede Begegnung eine Möglichkeit, um jemanden kennenzulernen. Ich fotografiere, weil ich neugierig bin. Das Bild ist am Schluss das Supplement.

Würde Sie Landschaftsfotografie ohne Menschen langweilen?

Ich will Menschen in ihrem Umfeld zeigen, das finde ich spannend. Darum gehe ich immer zu den Leuten, sie kommen nie zu mir. Ich habe kein Studio und baue auch nichts auf. Ich gehe hin und schaue. Der Raum fängt an spannend zu werden, wenn sich Menschen drin bewegen. Ich treffe eine Entscheidung, wo und in welchem Setting wir das Bild machen – was darin passiert, steuere ich so wenig wie möglich.

Und wie viel von Ihnen als Fotograf steckt letztlich im Porträt?

Du bildest nie die Realität ab, ein Porträt ist immer sehr subjektiv. Aufgrund der Entscheidung, welchen Ausschnitt man wählt, was man weglässt und in welchem Setting man die Person darstellt. Das hat immer auch mit mir zu tun und nicht nur mit der porträtierten Person, dessen muss man sich bewusst sein. Den Anspruch, die Seele von jemanden zu «tüpfen», finde ich vermessen.

Zeit und Reisen – das bedeutet genügend Budget. Etwas, das im Journalismus immer rarer wird. Sind gute Porträts heute noch möglich?

Mir haben Fotograf:innen auch schon gesagt, dass es heute nicht mehr möglich sei, so zu arbeiten. Aber warum nicht? Du bist an einem Ort, kannst mit den Leuten reden und hast eine Idee. Dann musst du’s einfach machen! Das war immer meine Devise: Ich gehe von der Situation und vom Inhalt aus, und dann mache ich. Für mich war immer entscheidend, dass ich plausibel erklären konnte, warum ich etwas so machen will – auch das hat mit Kommunikation zu tun. Und wenn etwas plausibel wird, kann ich vieles probieren, das hat sich nicht geändert. Gerade Personen, die stark in der Öffentlichkeit stehen, sind oft super happy, wenn sie nach 50 ähnlichen Porträts mal etwas anderes ausprobieren können.

Aber die Umstände im heutigen Journalismus sind sicher schwieriger.

Die Bildsprache in der heutigen Presselandschaft ist sehr klassisch geworden und nicht mehr sehr mutig. Das Spielerische, die Nonchalance ist verloren gegangen und vieles ist wahnsinnig seriös.

Woran liegt das?

Du brauchst das richtige Umfeld – Art Direktion, Chefredaktion und Journalist:innen. Ich habe sehr stark davon profitiert, dass ich Leute habe, die meine Arbeit schätzten.

Sie haben an der Kunsti Luzern studiert und sind ursprünglich Zeichenlehrer. Hat Ihnen das für die Fotografie geholfen?

Das Zeichnen, Beobachten und präzise Schauen haben mir sehr geholfen. Und probieren zu verstehen, wie du einen Körper oder Architektur auf den zweidimensionalen Raum bringst. Das war eine gute Schule.

Und als Fotograf sind Sie Autodidakt?

Ja, ich sage jeweils etwas zugespitzt: Es gibt die Zeit und die Blende, das Fotografieren ist das Verhältnis zwischen diesen zwei Faktoren. Der Rest ist schauen. Die Technik ist keine Hexerei. Aber ich bin froh, dass ich es manuell gelernt habe, um zu verstehen, was die Kamera macht. Und es hilft dir zu entscheiden, denn sobald du den Film wechselst, ruinierst du den Moment. Ich mache noch heute wenige Bilder.

 

  • Hinweis: UN_BEKANNT – Porträts von Andri Pol: 28. August bis 7. November, Museum im Bellpark Kriens. Zur Ausstellung erscheint das Buch «24 Knechte, 5 Bauern und 1 Hirt» mit Schwarz-weiss-Aufnahmen des Fotografen von 1993/94.

Der Künstler Roman Signer in seinem Atelier in St. Gallen beim Experimentieren. (Bild: Andri Pol)

Melanie Winiger, Model und Schauspielerin. (Bild: Andri Pol)

Die Künstlerin Sarah Lucas in London. (Bild: Andri Pol)

Knecht 2. (Bild: Andri Pol)

Der Künstler Gerhard Richter beim Aufbau seiner Ausstellung in der Fondation Beyeler, Riehen. (Bild: Andri Pol)

Besucherin Café Sprüngli, Paradeplatz Zürich. (Bild: Andri Pol)