Strom sparen beim Eierkochen – mit der «Ogi-Methode». (Bild: SRF)
Jetzt ist Verzichten angesagt – sind wir bereit?
SRF Kultur, September 2022
Die Appelle sind nicht zu überhören: Wir alle sollen unseren Beitrag leisten, um die drohende Strom- und Gasknappheit zu überstehen. Müssen wir, die den Überfluss gewohnt sind, wieder lernen zu verzichten? Und wie geht das?
Licht aus! Nicht zu lange duschen! 18 Grad im Schlafzimmer sind genug! Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, der das Energiesparen immer ernst nahm. In der Übergangszeit feuerten wir das Cheminée ein. Die Bodenheizung kam erst mit dem harten Winter zum Einsatz.
Energie kann man auch sparen, wenn keine Knappheit droht. Kalt duschen kann man auch als tägliche Challenge gegen den inneren Schweinehund betrachten. Alles eine Frage der Perspektive.
Nun kommen die Appelle nicht aus dem Eltern-, sondern aus dem Bundeshaus. Die Energiespar-Kampagne für die Bevölkerung läuft auf allen Kanälen.
Mit Wärmebildern und praktischen Tipps rufen Politikerinnen und Wirtschaftsvertreter in einer Energiespar-Allianz zu Selbstdisziplin und Genügsamkeit auf. Das Ziel ist, 15 Prozent Gas zu sparen, um durch die kalte Jahreszeit zu kommen.
Wieso fällt uns Verzichten so schwer?
Sparen und Verzichten sind die Gebote der Stunde. Solidarität und Eigenverantwortung sind gefragt, denn wer will schon eine Energiepolizei. Doch kann eine Gesellschaft freiwillig verzichten, die sich in unbeschwerten Jahrzehnten an den Überfluss gewöhnt hat? Und warum erst jetzt? Braucht es dafür eine Krise und den bundesrätlichen Mahnfinger?
Mit diesen Fragen gelange ich an Robert Tobias. Der Doktor der Psychologie an der Uni Zürich forscht unter anderem zu Verhaltensänderung und Gewohnheitsentwicklung.
Lernen aus der Krise
Dass wir über unseren Verhältnissen leben und den Ressourcenverbrauch grundsätzlich reduzieren müssen, sei das eine. Wie wir mit einer akuten Krise umgehen, das andere. «Krisen sind Ausnahmesituationen und völlig ungeeignet, um alltagstaugliche Verhaltensmuster zu entwickeln», sagt Robert Tobias.
Krisen erlauben uns höchstens Handlungsoptionen auszuprobieren, die wir sonst vielleicht nicht kennengelernt hätten, «und an denen wir so viel Gefallen finden, dass wir sie beibehalten.»
Zudem sei es nicht so, dass sich ohne Krisen nichts bewege. «Tatsächlich hat sich in den letzten 50 Jahren sehr viel getan, nur dass viele Änderungen an Verhaltens- und Entscheidungsmustern durch andere Entwicklungen kompensiert wurden», sagt Robert Tobias. So wurden Geräte immer effizienter, gleichzeitig gibt es immer mehr davon.
Uns allen sei bewusst, dass unsere Gesellschaft mit grossen Problemen kämpfe – und jede und jeder versuche in dieser Situation physisch, psychisch und sozial zu überleben. «Dass nun die Energie-Versorgungssicherheit sinken wird, ist einfach ein weiterer Stressfaktor – und zwar vor allem für diejenigen, die sehr gut wissen, was es heisst, verzichten zu müssen.»
Die Situation der Knappheit ist zudem nicht neu: «Der Optimismus, dass wir irgendwann eine Gesellschaft erreichen, in der alle haben, was sie wollen und wir in Harmonie zusammenleben, ist wohl schon in den 1970er-Jahren verflogen», sagt Robert Tobias.
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