Sohail Khan mit dem Plakat zu seiner Party von «Bong Da City».

Kochen und feiern: Wie Sohail Khan die Szene aufmischt

zentralplus, November 2019

Selbst vor den Taliban in Afghanistan geflüchtet, weiss Sohail Khan, wie Integration geht. Darum setzt er sich mit seinen Aktivitäten unermüdlich für den Kontakt zwischen Flüchtlingen und Einheimischen ein. Kochen steht genauso auf dem Programm wie das Tanzen gegen den Klimawandel.

Der Kaffee auf dem Tisch wird kalt. Die Zigarette in seinen Fingern ist erloschen. Wenn Sohail Khan über sein Engagement und seine vielen Aktivitäten spricht, scheint er die Welt um sich herum zu vergessen.

Er sitzt in der Novembersonne vor dem Neubad. Hier, wo er zu 60 Prozent in der Küche arbeitet, wo er seinen Büro-Arbeitsplatz hat und seine Treffen und Partys organisiert. «Im Neubad fand ich von Anfang an eine offene Tür und lernte neue Leute kennen. Es wurde für mich zu einem zweiten Wohnzimmer», sagt er.

Am Wochenende steht er zudem oft an der Kasse im Club «Uferlos». Die meiste Zeit geht aber für seine Herzensangelegenheit drauf: den Verein «Education for Integration», den er gegründet hat.

Das wöchentliche «Sprachkaffee», die Partyreihe «Bong Da City», Kochen mit Flüchtlingen: Der Verein organisiert Angebote, bei denen sich Geflüchtete und Einheimische treffen, sprechen, sich austauschen. Das Ziel: Aus Fremden werden Freunde. Das Mittel: Integration über Sprache. Über 260 Freiwillige engagieren sich bereits im Verein.

Hier lacht niemand

Sohail Khan weiss, wie wichtig solche Angebote im lockeren Rahmen wie das «Sprachkaffee» sind. Es steht keine Lehrerin vor einer Klasse, sondern die Integration wird gelebt. Geflüchtete lernen Deutsch über Gespräche zu aktuellen Themen. Der Kaffee ist von anderen Gästen spendiert.

Es gehe darum, die Hemmungen im Kopf abzubauen. Schweizer haben kaum Kontakt zu Flüchtlingen, diese wiederum trauen sich oft nicht sich zu äussern, weil sie Angst vor Fehlern haben. «Hier lacht niemand, egal was kommt», sagt Sohail Khan. Das Angebot sei beliebt und gut besucht – bis zu 50 Leute erscheinen.

«Die Idee kam aufgrund meiner eigenen Geschichte», sagt Sohail Khan. Der 26-Jährige ist vor dreieinhalb Jahren aus Afghanistan vor den Taliban geflohen. Er hat seine kranke Mutter zurückgelassen, Vater und Geschwister verloren und ist geflüchtet. Nur alle paar Monate hat er Kontakt zu ihr, für beide eine schwierige Situation. «Es ist sehr hart, dass ich meine Mutter schon fast vier Jahre nicht gesehen habe», sagt er.

Khan ist via Balkan und Italien in Basel gelandet und schliesslich im Asylzentrum Rothenburg. «Wenn du als Flüchtling ankommst, wirst du wie neu geboren. Du musst lernen, wie alles funktioniert und wie man sich integriert.»

Er erzählt es nüchtern. Hingegen blüht er auf, wenn es um seine Aktivitäten geht. Wenn er schildert, wie er in Luzern schnell an die richtigen Leute geraten ist, ein Umfeld gefunden und ein beeindruckendes Netzwerk aufgebaut hat.

Sohail Khan im Neubad, das für ihn viele Türe geöffnet hat.

Aus dem Asylzentrum raus

Vom ersten Tag an wollte er Deutsch lernen, etwas anreissen, rausgehen – stattdessen musste er warten. «Das Leben spielt sich nicht im Asylzentrum ab. Ich habe Hände, Kopf und Augen, ich wollte selber etwas machen.»

Inzwischen wohnt Sohail Khan bei einer Luzerner Familie. Sie ist zu seiner eigenen geworden, eine zweite Mama habe er gefunden. Das Wichtigste für Sohail Khan war neben der Sprache, dass er schnell sein eigenes Geld verdienen kann und nicht vom Sozialgeld abhängig ist.

Er hat zuerst in Restaurants und in einem Lebensmittelgeschäft gejobbt. «Seit fast drei Jahren bin ich selbstständig und finanziere mein Leben», sagt er.

Inzwischen hat Sohail Khan erstmals die Sicherheit, dass er vorläufig bleiben kann. Er hat kürzlich den Ausländerausweis F erhalten (vorläufig aufgenommen). Eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung ist das allerdings noch nicht.

Lächeln und weitermachen

Sprache und Kontakt zu Mitmenschen sind Schlüssel für die Integration. Dank seiner Neugier, Offenheit und Ungeduld ist das bei Sohail Khan schnell gegangen. «Schnell kennst du halb Luzern», sagt er.

Anschluss in bestehenden Gruppen und Netzwerken zu finden, fällt aber nicht allen so leicht wie ihm. Und wer im Asylzentrum wohnt, kommt kaum in Kontakt mit Leuten ausserhalb. Hier setzt der Verein an.

Wie beurteilt er die Offenheit der Luzerner gegenüber Flüchtlingen? Er habe Glück gehabt und sei auf Menschen gestossen, die sich für ihn engagierten. Auch von Zurückweisungen und Skepsis habe er sich nicht entmutigen lassen. «Ich lächle und mache weiter», sagt er.

Er bedauert einzig, dass sich viele Leute nicht mehr Zeit nehmen, um sich zu engagieren, sie seien von Montag bis Freitag gestresst. «Eine Stunde pro Woche etwas für andere tun würde schon viel helfen», sagt Khan.

Tanzen für den Feminismus

Khan trägt einen Button des Frauenstreiks. Die Integration hat für ihn auch mit den brennenden politischen und gesellschaftlichen Themen zu tun. Die Klima-Krise, Gleichberechtigung und Feminismus spielen bei seinen Aktivitäten eine zentrale Rolle.

«Es sind die grossen Themen, auch die Menschen im Asylcamp müssen darüber Bescheid wissen», sagt er. Die nächste Party widmet sich dem Klima (siehe Box). Eine andere hiess «Let’s dance for feminism».

Zuerst wird gemeinsam mit Leuten aus dem Asylcamp gekocht, danach folgen Konzerte und DJs. Schon bis zu 600 Leute haben gefeiert. «Wenn du aus Ländern wie Afghanistan kommst, hast du nicht viel Ahnung von den Rechten der Frau und von Feminismus», sagt Sohail Khan. Auch er musste zuerst dazulernen.

Letztlich geht es Sohail Khan um übergeordnete Themen wie Respekt, Liebe und Chancengleichheit. Er unterscheidet nicht zwischen Flüchtlingen oder Einheimischen. Herkunft, Farbe, Religion sind ihm unwichtig. «Wir sind Menschen, alles andere ist doch egal. Und dafür arbeite ich.»

Mehr zum Thema

Anlässe von «Education for Integration»

Partyreihe «BongDaCity»

«Sprachkaffee»: Jeden Donnerstag von 18 bis 20 Uhr im Neubad-Bistro.

«Let’s Eat Together»: Jeden Montag treffen sich Menschen im Asylzentrum Rothenburg zum Essen.

Mehr zu den Aktivitäten des Vereins.

Fragt man ihn nach seinen Plänen und Zielen, brennt er förmlich. «Wenn du die Energie hast, kannst du viel verändern.» Er möchte die Aktivitäten von «Education for Integration» weitertragen in andere Städte und Länder in ganz Europa. Der Verein engagiert sich inzwischen auch in Chiasso, Partys finden in anderen Städten statt.

Die Idee wächst und spricht sich rum. Neue Angebote wie Yoga-Kurse im Asylzentrum oder Computerkurse im Neubad stehen an. An Weihnachten starten sie das Projekt «Welcome & Merry Christmas»: Flüchtlinge werden an Familien vermittelt, um gemeinsam zu essen.

Wird es ihm nie zu viel? «Viele Kollegen sagen mir, ich solle mal eine Pause machen.» Er denkt nach. Das erste Mal im Leben habe er das Gefühl, dass er angekommen sei und sich gefunden habe. «Ich muss immer aktiv sein, das gibt mir viel mehr Energie, als wenn ich ein paar Tage Pause mache.» Seine Zukunft lässt er noch offen, Journalismus reizt ihn. «To bring the truth», sagt er. Aktivist bleibt er so oder so.

«Das war mein erstes Interview auf Deutsch», sagt er noch, trinkt den kalten Kaffee aus und verschwindet mit einer Rolle Plakate unter dem Arm.