Eine versöhnliche Abrechnung: so unschlüssig und verwirrend wie dieses Jahr ohne Zeit.

Eine trübe Suppe. Ein unförmiger Klumpen. Ein unwirtliches Dickicht. Wenn ich das ablaufende Jahr 2020 überblicken und resümieren will, gelingt mir das nicht. Zu viele Fixpunkte und Gewohnheiten, die sonst Halt und Orientierung bieten, fehlen. Ich bin überfordert.

Stattdessen solche blöden Bilder. Ich sehe: ein zeitloses, zähes Etwas, das doch erst gerade begonnen hat. War nicht eben noch Neujahr, Frühling, Daniel Koch? Egal, die Zeit verliert jegliche Bedeutung in diesem Jahr ohne verlässliche Prognosen und Sicherheiten.

Die Meldungen darüber, so elend sie sind, reihen sich ein in den Kanon, in den stetigen Fluss von Zahlen, Kurven und Erzählungen. Restaurants und Kulturschaffende kämpfen um ihre Existenzen; Ärzte, Pflegende und Journalistinnen gegen die Erschöpfung; Komiker um ihren Ruf. Nur die Idioten, die demonstrieren dagegen.

Statistiken, Prognosen und Absagen gehören inzwischen zum Alltag. Vorhersagen dazu sind schwierig, der Ruf nach Planungssicherheit wird zur Folklore. Liebgewonnene Traditionen fallen reihenweise – Feste, Festivals, Fasnacht, Fernweh.

Es wird zwischen schwindenden Existenzen und wankenden Branchen irgendwie weitergehen müssen – danach. Und was bleibt uns, die es normalerweise schätzen, Kulturprogramme durchzublättern und bequem aus einem soliden Angebot auszuwählen? Es fehlt neben der geistigen Herausforderung, dem Tanz aus der Komfortzone, auch einfach: Orientierung. Kultur füllt Kalender und macht Jahreszeiten – Comics, Musiktage, Open Airs, Jazz, Theater, Worte, Weltklasse-Klassik.

Suppe, Klumpen, Dickicht: Dieses Jahr in Lauerstellung und Tickermodus ist lang und zäh. Scheue Lichtblicke gab’s – dazwischen. Ich mag mich an das erste Konzert erinnern nach der erzwungenen Pause, als ich die Treppen in den vollen Club hinunterstieg. Es fühlte sich an wie 20 Jahre zuvor, als ich neugierig und unsicher die heiligen Hallen der Boa für mich entdeckte.

Wenn die Orientierung fehlt – im Kopf wie in der Zeit –, bleibt nur das unmittelbare Jetzt. Auch das hat etwas (es bleibt ja nichts anderes übrig). Ob’s anderen ähnlich ergeht? In diesem Jahr, in das ich mit guten Plänen und ambitionierten Vorhaben gestartet war, ist so ziemlich alles anders gelaufen als geplant – deswegen.

Go with the Flow, jeden Tag aufs Neue leben und sehen, was möglich und nötig ist. Einmal mit dem Zustand arrangiert, ist das alles gar nicht so schlecht. Anders, nicht schlechter. Es lehrt uns eine gewisse Demut und zwingt uns zu Bescheidenheit.

Lost lautet das deutsche Jugendwort des Jahres – indeed, indeed. Inzwischen gebe ich mit der Orientierungslosigkeit mit einem gewissen Fatalismus und Genuss hin. Denn sie verspricht auch Überraschungen, Unverhofftes und Augen für das Nahe. Sie ersetzt alte Gewohnheiten, bricht Mauern ein und schafft Grund für Neues. Auf die Gefahr hin, dass das alles wie ein Kalenderspruch klingt. Ein Jahr, an die Wand geklatscht.

So gesehen kann es auch ein Aufbruch sein. Es wird nicht alles gleich sein danach. Einiges vielleicht ärmer und verschwunden; vieles aber besser und neu. Wenn auch noch ein bisschen lost vielleicht. 

Bis dahin sollten wir in der Orientierungslosigkeit, so gut es geht, nicht aus dem Tritt fallen. Einfach nicht stolpern. Geht doch.