Sind sich in vielem einig: Claude Salmony und Valeria Wieser mit Hündin Leya beim Gespräch. (Bild: SRF/Gian Vaitl)

Sind sich in vielem einig: Claude Salmony und Valeria Wieser mit Hündin Leya beim Gespräch.
(Bild: SRF/Gian Vaitl)

Treffen sich ein Hundeskeptiker und eine «Hündelerin»

SRF Kultur, Januar 2024

Wenn Hund und Passanten aufeinandertreffen, wird’s oft emotional und gehässig. Doch es geht auch anders, wie unser Spaziergang zeigt. Ein Gespräch entlang von fünf Thesen – ganz ohne Kläffen.

Er ist selbsterklärter Hundeskeptiker – sie selten ohne ihre Hündin Leya unterwegs. Der Hörspielmacher Claude Pierre Salmony sagt: «Hunde, die alle ursprünglich vom Wolf abstammen, sind durch die lange Zucht Schöpfungen des Menschen nach seinen Bedürfnissen geworden.» Und die Journalistin Valeria Wieser findet: «Ich werde fast jeden Tag von Fremden auf meinen Hund angesprochen – ich mag das.»

Wir treffen uns zum Hundespaziergang am Luzerner Seebecken. Weil sich Hündeler und Skeptiker zwar viele Aversionen teilen, aber selten miteinander sprechen.

Die Gesprächspartner

Claude Pierre Salmony hat Philosophie, Sprach- und Literaturwissenschaft studiert. Beim Radio SRF hat er als Regisseur, Dramaturg und Redaktor 40 Jahre lang Hörspiele realisiert und an der Gestaltung des Hörspielprogrammes mitgewirkt. Er wohnt in Basel und hält zu Hunden lieber Abstand.

Valeria Wieser lebt als Journalistin in Baar und ist seit einigen Jahren täglich mit ihrer Hündin Leya unterwegs, gerne auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Dort nämlich ergeben sich oft die schönsten Begegnungen, findet sie.

Leya – Merkmal: einäugig – ist vor dreieinhalb Jahren aus Portugal in die Schweiz gekommen. Ihre Rasse ist unklar, vermutlich ist sie zu einem Teil Bardino, ein kanarischer Hütehund.

In der Schweiz teilen sich fast 9 Millionen Menschen die Wälder, Parks und Seepromenaden mit rund 560’000 Hunden. Überforderte Hundehalter auf der einen Seite – Vorurteile und Ängste auf der anderen: Fehlt es an Toleranz? An klaren Regeln? Oder einfach am gegenseitigen Verständnis? Antworten anhand von fünf Thesen.

Leya muss an der Leine bleiben, während Valeria Wieser und Claude Salmony über Hunde diskutieren. (Bild: SRF/Gian Vaitl)

These 1: «Hündeler» und Skeptiker haben kein Verständnis füreinander

Valeria Wieser, die sich als Tier- und Menschenfreundin bezeichnet, erlebt kaum Konflikte mit anderen Passanten oder Hunden. Im Gegenteil: «Wenn ich mit Leya unterwegs bin, habe ich schöne Begegnungen und tolle Gespräche. Sie ist eine entspannte Hündin und oft ein Eisbrecher.» Trotzdem sei die Debatte um Hunde sehr emotionalisiert und ein neutraler Austausch oft nicht möglich.

«Die Dichte und die Quantität verändern die Probleme. In der Schweiz gibt es alles, nur keinen Boden», sagt Claude Salmony. Ein Kanadier habe ihm mal gesagt, die Schweiz sei eine «Stadt mit Grünzonen dazwischen». Die Enge mache das Problem wohl grösser, als es sein müsse: «Der Hund gehört dennoch nicht zu meinen vordringlichen Problemen.»

Claude Salmony ist Tieren gegenüber nicht abgeneigt – er ist in einem Haushalt mit Hunden aufgewachsen und hatte einst zwei Katzen. Aber heute hinterfragt er die westliche, urbane Haustierhaltung: «Hunde sind unsere ältesten Haustiere und durch Züchtung und Dressur menschengerichtet. Dieses Verhältnis ist ein hierarchisches, und als Machtskeptiker hinterfrage ich das.»

Der studierte Philosoph ergänzt: «Die Hundeleine ist ein hübsches Symbol für Nietzsches These vom ‹Willen zur Macht› als Grundanlage des Menschen, die Leinenenden ein Symbol für Hegels ‹Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft›, die eben gegenseitig voneinander abhängig sind.»

Trotz des grossen Vertrauens in ihren Hund sieht auch Valeria Wieser in der Haltung ein Machtgefälle. «Es braucht mich als Alphatier, sonst funktioniert das Zusammenleben nicht.» Heisst: Sie gibt Grenzen vor, übernimmt aber auch Verantwortung, wenn Leya mit einer Situation überfordert ist.

These 2: Nicht die Tiere, sondern die Haltenden sind das Problem

Dem Problemverhalten der Hunde liegt oft ein Fehler in der Erziehung zugrunde. Wer hingegen seinen Hund und dessen Körpersprache kennt, kann Konflikte verhindern. Schwere Vorfälle sind aber selten: Von jährlich 40’000 Freizeitunfällen mit Tieren in der Schweiz passieren etwa 15 Prozent mit Hunden (ein Drittel davon beim Gassigehen). Gefährlicher sind laut Suva-Statistik Insekten.

Es sind eher Dinge wie Hundekot, die alle verärgern – auch andere Hundehalter. «Es wäre so einfach, diese Konflikte zu verhindern», sagt Wieser. Sie sieht die Probleme meist beim Menschen. Einen Hund zu halten, sei anspruchsvoll, aber auch sehr lehrreich: «Ich lerne quasi eine neue Sprache, lerne meinen Hund zu lesen.» Die körperlichen Signale richtig zu deuten, brauche Erfahrung, Empathie und Sensibilität. «Ein Zugang zu einem Tier ist ein Gewinn und verändert auch mich als Mensch.»

Sie hat das Glück, dass Leya eine entspannte Hündin ist. «Sonst würde ich ihr, aber auch meinem Umfeld, weniger zumuten. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass man sich vor Hunden fürchtet oder sie nicht mag. Es ist auch eine Frage des Respekts, dass ich das spüre und Abstand halte.»

Auch Hunde merken, wenn jemand Abstand will, weiss Claude Salmony aus Erfahrung. «Ich bin ein Hygieneneurotiker. Hunde begreifen das nach kurzer Zeit und halten Abstand und springen nicht auf meinen Schoss.» Er ist der Meinung, dass man Hund und Mensch nicht getrennt betrachten kann. «Es gibt rund 300 Hunderassen und teils groteske Schöpfungen. Das spiegelt in gewisser Weise uns als Mensch wider.»

In der Kommunikation mit Hunden beobachtet er öfter eine «Regression im Tonfall», die ihn abstösst. «Für mich ist das ein Schritt aus der Erwachsenenwelt.» Valeria Wieser kennt das – sie werde oft «Mami» ihres Hundes genannt. «Das irritiert mich jeweils. Diese Vermenschlichung führt zu einem seltsamen Gefälle.»

Während zwei diskutieren, posiert der dritte. (Bild: SRF/Gian Vaitl)