Very British: Die Schofseckle in Aktion.

Vom Nörgler zum Mittäter: Wie ich die Fasnacht lieben lernte

zentralplus, Februar 2020

Um ein Haar hätte es traumatisch geendet, als ich frisch bei zentralplus an den Urknall geschickt wurde. Doch es kam anders: Vier Jahre später gehe ich freiwillig an die Fasnacht und finde nur lobende Worte. Wie es dazu kam.

Gerade einmal seit einem Monat hatte ich an diesem 4. Februar 2016 bei zentralplus gearbeitet. Und schon stand ich am Schmutzigen Donnerstag um 5 Uhr in der Früh auf dem Kapellplatz. «Ich fühle mich rüüdig fehl am Platz. Weil es absurd früh und absurd laut ist. Trinken will und kann ich nicht, denn ich bin dienstlich anwesend», schrieb ich über mein unfreiwilliges Erlebnis.

Vier Jahre später, Ende Februar 2020, werde ich während der Fasnachtstage wieder in den engen Gassen stehen. Wie schon im Jahr zuvor. Und nicht nur das: Bewaffnet mit einem Instrument übe ich mich tatkräftig im Aufheizen der ausgelassenen Stimmung. Freiwillig und begeistert werde ich mich ins Reich von Guuggen, Holdrios und dekorierten Beizen begeben.

Von Beiz zu Beiz, die Musik im Ohr

Was ist passiert? Auf den ersten Blick ganz viel: Ich bin vom Nörgler zum Mittäter geworden. Auf den zweiten Blick jedoch nicht: Ich mochte viele Aspekte des unreglementierten Feierns schon immer. Nachts in den Strassen, von Beiz zu Bar, die Musik im Ohr.

Wie so oft im Leben braucht es aber einen kleinen Schubser und eine gute Gelegenheit zum richtigen Zeitpunkt. In der wunderbar dilettantisch-ambitionierten kleinen Gruppe «Schofseckle» kam es zu einer Vakanz – und ich zu einem Anlass, das Epizentrum der Fasnacht neu lieben zu lernen. Das ist alles andere als selbstverständlich, wenn ein Neo-Fasnächtler in einer Kleinformation mit 25 Jahren Erfahrung landet.

Wie der asiatische Nahverkehr

Die Beizen: Während die einen einfach mal absitzen und essen möchten, andere daneben dutzendfach im Chor grölen und wieder andere zu bedienen versuchen, platzt da ein Dutzend mit Wagen und Instrumenten in die Szenerie. Wo vorher schon kein Platz war, wird es noch gedrängter. Analog zum asiatischen Nahverkehr und entgegen aller Naturgesetze scheint eine fasnächtliche Beiz nie zu voll. Die Stimmung ist nach anfänglichen argwöhnischen Blicken schliesslich immer euphorisch.

Ich finde es durchaus erstaunlich, dass es kaum zu Zwischenfällen kommt mitten im bunten und alkoholisierten Treiben. Gewalttaten, verübt im Schutze der Masse und hinter der Anonymität der Maske, sind äusserst selten.

Der alkoholisierte Zustand fördert zwar nicht zwingend die besten Seiten der Menschen zutage. Die Witze sind plump, die Sprüche oft doof und die Töne schief. Aber das Tolle an der Fasnacht ist eben, dass jeder auf seine Weise doof sein kann, ohne sich dafür schämen zu müssen. Und grösstenteils wird man in Ruhe gelassen und es wird Rücksicht genommen, und dies trotz Gedränge und Gedrücke.

Drängen, trinken, schnorren, lüpfen, sorry, müssen weiter, auf und ab, hinein und hinaus, dahin und zurück – und das Ganze von vorn. Die Nacht vergeht wie im Flug – nur viel lustiger.

Leben und leben lassen als Qualität

Ich habe immer noch meine liebe Mühe mit Guugger-Karawanen und Zunft-Zeremonien – insbesondere, wenn sie sich in Satire versuchen. Aber ich habe für mich die wunderbare Beizen-Fasnacht wiederentdeckt. Und das scheint mir eine Qualität der Luzerner rüüdigen Tage zu sein: Jede und jeder findet ihre oder seine Fasnacht: die poetischen Kleinbühnen, die drückend heissen Bars, die stampfenden Partywagen, die herzigen Kinderumzüge und all die Pseudotraditionen.

In einer Welt, in der alles sofort gewertet wird und wo jeder eine Meinung hat und sich am liebsten mit Gleichgesinnten umgibt, ist das Leben und Leben lassen eine grosse Qualität. Es ist kein Klischee, dass hier jede willkommen ist, selbst wenn sie als Aargauerin auftaucht. Und für alle anderen ist die Stadt noch immer gross genug, um der Fasnacht aus dem Weg zu gehen.

«Ach Fasnacht, vielleicht wird das ja doch noch was mit uns … irgendwann mal.» Die abschliessende Prophezeiung von vor vier Jahren hat sich bewahrheitet. Man darf schliesslich auch als Journalist gescheiter werden.