Gino Hägler unterrichtet an einer Sekundarschule – und als Stuntman hat er regelmässig mit Explosionen zu tun. (Bild: Jonas Wydler)

Gino Hägler unterrichtet an einer Sekundarschule – und als Stuntman hat er regelmässig mit Explosionen zu tun. (Bild: Jonas Wydler)

Lehrer und Stuntman: Für seine Berufe ist Gino Hägler Feuer und Flamme

Bildung Schweiz, Dezember 2024

Als junger Lehrer lockte ihn eine Karriere als Stuntman raus aus dem Klassenzimmer in die weite Welt. Heute verbindet Gino Hägler seine beiden Leidenschaften: Unterrichten in Bonaduz und Action auf der Kinoleinwand.

«Wir können für das Foto einen Feuerball zünden.» Gino Hägler sagt dies, als wäre es das Normalste der Welt. Nur wenig später kommt aus einem Gasbehälter auf dem Pausenplatz in Bonaduz (GR) eine meterhohe Flamme geschossen. In Actionfilmen werden auf diese Weise Explosionen simuliert.

Hägler ist in seinem Element: Seit fast 20 Jahren spielt der Sekundarlehrer als professioneller Stuntman in Filmen und Serien mit – etwa bei «Bestatter», «Tschugger» oder «Early Birds». Hauptberuflich unterrichtet er die Fächer Natur und Technik sowie Mathematik. Daneben verbindet der 41-Jährige mit seinen «School of Action» genannten Kursen seine Leidenschaften für Action und fürs Unterrichten.

In seinem Klassenzimmer deutet nichts auf Häglers zweites Standbein mit Verfolgungsjagden und Stürzen hin. Auf der Wandtafel stehen Mathematikaufgaben, auf der Fensterbank offenbart ein Torso aus Plastik seine Blutbahnen und Organe.

Wo ist Hägler mehr in seinem Element: Auf dem Filmset oder im Klassenzimmer? Wenn er lange kein Filmengagement in Aussicht habe, werde er nervös, sagt er. «Dann finde ich mein Leben als Lehrer etwas bünzlig.» Nach der Arbeit auf dem Filmset wiederum kehre er gern ins «bünzlige Leben» zurück. Denn die Klasse fordere ihn genauso wie das Filmemachen, nur anders: «Die Arbeit mit Jugendlichen ist sinnstiftend und spannend», so der Lehrer.

Erste Stunterfahrungen sammelte Hägler als 23-jähriger Primarlehrer. In den Sommerferien absolvierte er eine Ausbildung beim bekannten Hollywood-Stuntman Oliver Keller. Kurz danach hängte er den Lehrerjob an den Nagel und verfolgte fast zehn Jahre lang eine Filmkarriere. In dieser Zeit war er oft im Ausland unterwegs, auch in den USA.

Teilzeit-Stuntmen haben es nicht leicht

Diesen aufregenden Lebensabschnitt, in dem er von Filmset zu Filmset reiste, möchte er nicht missen. «Das Rockstarleben ist eine Zeit lang aufregend, aber vor allem auch rastlos und anstrengend», sagt er heute. Abend- und Wochenendeinsätze, kurzfristige Verschiebungen, viele Reisen und das unsichere Einkommen seien nicht gerade förderlich für ein gesundes Sozialleben. «Die Einnahmen sind nicht planbar. Deshalb ist es in der Schweiz kaum möglich, nur von Stunts zu leben», sagt er. Das liegt einerseits am kleinen Publikum, andererseits aber auch daran, dass Action in hiesigen Filmen und Serien eher selten zu sehen ist.

Häglers Prioritäten haben sich über die Zeit verändert und es zog ihn wieder zurück ins Schulzimmer: Er absolvierte die Ausbildung zum Sekundarlehrer und arbeitet seither in Bonaduz. «Hier habe ich ein geregeltes Einkommen und einen geregelten Tagesablauf. Ich bin zu Hause für die Familie – und ab und zu gehe ich noch zum Film. Die Kombination ist super.» Auch wenn es als Teilzeit-Stuntman nicht immer einfach sei, am Ball zu bleiben: «Je älter ich werde, desto mehr Aufwand muss ich betreiben. Ich investiere viel ins Training und mache täglich Sport», sagt er.

Kinder rollten Treppen hinunter

Die Idee von Showkämpfen mit Schülerinnen und Schülern hatte Hägler schon zu Beginn seiner Stuntkarriere. «Nachdem mich die Kinder im Fernsehen gesehen hatten, fingen sie damit an, mich zu imitieren. Sie fielen um oder rollten Treppen hinunter. Dabei haben sie sich teils echte Schmerzen zugefügt.» Hägler wollte ihnen zeigen, dass es bei Stunts darum geht, etwas möglichst gefährlich und spektakulär aussehen zu lassen – ohne dabei Schaden zu nehmen. Gesagt, getan: Die Übungen in der Turnhalle seien so gut angekommen, dass bald auch andere Lehrpersonen bei ihm anklopften und das Angebot für ihre Klasse in Anspruch nehmen wollten.

Im Rahmen seiner Masterarbeit entwickelte Hägler die «School of Action»-Kurse, die er auf Anfrage durchführt. Schülerinnen und Schüler führen unter seiner Anleitung einfache Stunts durch und filmen sich dabei. Sie konzipieren kurze Actionszenen und lernen so die grundlegenden Elemente der Filmsprache kennen. «Wir bearbeiten die gefilmten Sequenzen. Die Teilnehmenden erkennen so den Einfluss von Schnitt, Toneffekten und Musik auf die Wirkung einer Szene», sagt er. Schliesslich sollen sie zwischen Realität, Fiktion und Fälschung unterscheiden können.

Schülerinnen und Schüler fragen Hägler regelmässig, ob er diese oder jene Actionszene gesehen habe und wie sie gemacht sei. «Diese Faszination hat mich selber auch zum Film gebracht.» Für ihn stehe dabei nicht die Gewalt an sich, sondern die Machart im Zentrum. So weiss Hägler auf die Frage, ob eine brutale Filmszene authentisch war, keine Antwort: «Ich war noch nie in eine Schlägerei verwickelt. Ich kann nur sagen, wie sie auf dem Bildschirm gut aussieht.»

Als Lehrer, Stuntman und Vater von zwei Töchtern hat Hägler zu Themen wie Gewaltdarstellung und Mediennutzung in der Schule eine dezidierte Haltung. Besonders die Medienkompetenz müsste seiner Meinung nach an Bedeutung gewinnen. «Wir können immer weniger kontrollieren, was Kinder und Jugendliche konsumieren. Mittlerweile bist du froh, wenn sie einen Film schauen, der länger als 15 Sekunden dauert und eine echte Handlung hat», sagt er.

Verbot ist Verdrängung

Ein anderes grosses Thema ist die Bildschirmzeit – einige Schulen verbieten die Smartphonenutzung gänzlich. Hägler hält dies für zu einfach: «Wir müssen mit der Zeit gehen. Ein Verbot ist eine Verdrängung. Das ist noch kein pädagogischer Ansatz.» Eine Bildungsinstitution sollte seiner Meinung nach einen anderen Anspruch haben: «Man lässt zumindest eine beschränkte Nutzung zu, thematisiert sie und lehrt damit umzugehen.»

Auch die viel beklagte Gewalt unter Jugendlichen beobachtet Hägler nicht: «Ich habe seit Jahren keine physische Gewalt mehr an unserer Schule gesehen.» Vielleicht sei das aber auch ein Problem: Die Gewalt verlagere sich in den digitalen Raum und sei somit weniger sichtbar.

Hägler ist daran, seine «School of Action»-Kurse weiterzuentwickeln – hin zu einer ganzen Themenwoche im Zeichen der Medienkompetenz. Mit Gästen, die verschiedene Perspektiven wie Faktenchecks oder künstliche Intelligenz abdecken. Er ist überzeugt, dass die Nachfrage sowie die Neugier und der Wille bei Jugendlichen gross wären. «Mein Problem ist eher: Ich habe einen so vollgepackten Alltag.»

Der Lehrerjob sei sein Ausgleich zum Stunt. Und umgekehrt. Und apropos Ausgleich: Jetzt ist genug geredet. Es ist Zeit, das Aufhängerfoto für diesen Text zu schiessen – natürlich mit einem Feuerball im Hintergrund.